Seelsorge - Management ein Widerspruch ?

Kurt L. Oetiker <kurt@oetiker.ch>

Als Unternehmensberater bin ich dabei, wenn die inneren Kräfte einer Organisation mobilisiert und gestärkt werden, um das dynamische Gleichgewicht der Organisation wieder zu ermöglichen und die dazu nötige Eigenlenkung des/der Einzelnen zu entwickeln. Dabei bin ich schon seit langem am Nachspüren, wie und wann Seelsorger- bzw. Managerfunktion zum Tragen kommen.

Jedenfalls geht es immer um die Lebendigkeit des einzelnen Menschen, sowie um das ganze Gefüge. Also um ein dynamisches Gleichgewicht einer ganzen Organisation, aber in dieser Organisation auch um das dynamische Gleichgewicht jedes und jeder Einzelnen. Der erste Schritt zu dessen Erarbeitung besteht darin, dass sich jemand als Person entschlossen hat, ein Teil dieser Organisation zu werden und zu sein (z.B. Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag) oder ein ehrenamtlicher Teil einer Organisation zu werden und zu sein (psychosozialer Vertrag) indem sie ein Amt übernimmt. Erst wenn dieser erste Schritt getan ist, wird Seelsorge bzw. Management möglich, denn ohne grundsätzliche Bereitschaft, individuelle Fähigkeiten und persönliche Energie entwickelt sich wenig. --- In diesem Zusammenhang kommt mir das Verhalten unseres Katers in den Sinn:

Lässt es sich bewegen?

Unser Kater kann viele Dinge klar signalisieren; etwas, das mir im Kontakt mit Menschen oft sehr schwer fällt. Insbesondere herauszufinden, was sie wirklich meinen. Wenn ich ihn gegen das Fell streichle, macht er nur kurz mit, auch wenn ich es liebevoll tue. Er wird sich entweder wehren oder schnell meinen Schoss verlassen.

Auch beobachte ich, wie er mit für ihn neuen Gegenständen umgeht. Er schaut zuerst aus der Ferne zu, ob es sich bewegt. Bewegt es sich nicht, so kommt er näher und versucht, es zu bewegen. Lässt es sich nicht bewegen, so ist es für ihn uninteressant und er wendet sich anderen Dingen zu. Lässt es sich hingegen bewegen, dann nutzt er seine ganze Kreativität und Energie, um alles auszuprobieren, was möglich ist und ihm Vergnügen bereitet. Ich erlebe unseren Kater als neugierigen, zum Spielen aufgelegten, aber auch als selbstbewussten Mitbewohner, der etwas wagt, aber auch für sich sorgen kann und in seiner Verhaltensweise eindeutig ist. Er hat gelernt, dynamische Gleichgewichte herzustellen!

Eigenlenkung

Ich denke, dass der Schlüssel, zu lernen sich zu entwickeln, sich zu führen, etwas zu leisten, sich von Enttäuschungen zu erholen, aber auch für sich zu sorgen, beim Menschen selber liegt. Die ihn umgebenden PartnerInnen (SeelsorgerInnen / ManagerInnen) können ihm vieles ermöglichen und ihn sichern, aber schlecht stellvertretend für ihn lernen oder sich für ihn entwickeln.

Somit ist es eine persönliche Aufgabe, für die eigene Orientierung und für eigene Ziele zu sorgen und diese auch immer wieder zu überprüfen. Um die Begriffe "Orientierung" und "Ziele" zu verdeutlichen, möchte ich das Bild der drei Könige im Morgenland benützen.



Ihre Orientierung war der Bethlehem-Stern, ihr Ziel war, das Kind in der Krippe zu sehen.

Der persönliche Orientierungsstern ist also etwas, das als solches nie erreicht wird. Er ist Mittel zum Zweck und seine Aufgabe ist es, möglichst immer sichtbar zu sein und sich nicht zu bewegen. Er ist höchstens mehr oder weniger geeignet, als Navigationshilfe. Hier denke ich, hat die Seelsorge ihre Aufgabe.

Seelsorge

Wenn durch irgendwelche inneren oder äusseren Einflüsse die persönliche Orientierung eines Menschen geschwächt wurde oder verloren gegangen ist oder er nicht mehr navigieren kann, helfen ihm strukturierte Gespräche, empathische Begleitung und Sicherung, um wieder "ganz" zu werden. Er kann sich dann als Mensch wieder so akzeptieren, wie er ist und entwickelt den Willen, sich wieder in die Gesellschaft einfügen zu wollen. Seelsorge hat hier auch zusätzlich die filigrane Aufgabe, zu sichern und zu klären, dass Orientierung und Ziel nicht verwechselt werden und dass Eigenkräfte und Navigationsfähigkeit sich im eigenen Tempo der begleiteten Person entwickeln. Abkürzungen gibt es hier nicht - sonst kommt die Seele nicht mehr mit!

Management

Professionelle ManagerInnen sind sich solcher Zusammenhänge sehr bewusst und werden sich darum schwergewichtig mit der "Zielseite" beschäftigen und diese bearbeiten. Es ist Aufgabe der Person mit der Managementfunktion, sich zu vergewissern, ob die einzelnen MitarbeiterInnen an ihrer Selbstorientierung und Selbstleitung arbeiten und in der Lage sind, ihre dynamischen Gleichgewichte zu halten, denn erst mit der Entwicklung dieser Fähigkeiten können Ziele auch wirtschaftlicher, energieärmer und für MitarbeiterInnen zufriedenstellender erreicht werden.

Der/die ManagerIn erarbeitet und erteilt eindeutige, vollständige, sinnvolle und verständliche Aufträge. Auf dieser Basis erstellt der/die MitarbeiterIn eine Planung für die Erarbeitung der Lösung, welche die Einteilung der Mittel zeigt und das Vorgehen nachvollziehbar macht. Kluge Vorgesetzte werden hier sichern, dass nur so viele Aufträge angenommen werden, wie auch erledigt werden können. Die Planung soll so gestaltet werden, dass sich Mitarbeiter bei der Ausführung selber lenken können. Dazu gehört auch die Aufgabe, nicht nur zu leisten, sondern periodisch zu überprüfen, ob wirklich das Gewünschte entsteht, und, falls nicht, den Kurs schrittweise zu korrigieren. Seelsorge und Management scheinen sich zu bedingen.

Folgerung

Seelsorge sichert Eigenorientierung und Integration. Management sichert, dass in dieser Integration auch Sinnvolles geleistet werden kann, damit auf der einen Seite Eigenenergie entsteht, auf der anderen Seite geistige und materielle Unabhängigkeit möglich wird.

Ich denke, dass solange mein Kater sich an seiner Neugier, seinem Wagemut, seinem Spieltrieb und seiner Vorsicht orientiert und sein Futter aufgrund seiner "Planung" und Leistungsfähigkeit ergattert, wird er ein glückliches und langes Leben leben. Geraten diese zwei Aspekte durcheinander, so könnte er bald zu einer vom Futter abhängigen Stubenkatze werden oder rasch unter den Rädern eines Autos landen.

Zusammenfassung

Manchmal habe ich das Gefühl, dass SeelsorgerIn und ManagerIn beide der Meinung sind, dass nur sie kompetent sind, um mit dem Mensch umzugehen. Dabei wird dann oft vergessen, dass dieser Mensch ein lebendiges Individuum ist und sich selber lenken kann. Hilfe braucht er nur, wenn er beginnt, Orientierung und Ziele zu verwechseln.

ManagerInnen und SeelsorgerInnen haben die Aufgabe, Menschen durch Beratung und Begleitung zu fördern, damit sie ihre Abhängigkeiten erkennen - um unabhängig zu werden.

Aus: Orientiertung, Fachzeitschrift der Behindertenhilfe, 2'2002